Warum Rumänen zum Spargelstechen in die Fremde fahren

05-06-2015 15:53

URICANI/MÖTZOW –  

Auf den hiesigen Spargelfeldern freuen sich die ausländischen Erntehelfer über den Mindestlohn. Sie verlassen für ein paar Monate ihre Heimat und arbeiten richtig hart. Was treibt sie an? Ein Beobachtung in Rumänien und in Brandenburg.

Die Spargelsaison in Brandenburg hat ihren Höhepunkt erreicht. Wie immer hängt der Erfolg der Branche vor allem von den ausländischen Erntehelfern ab, denn sie sind es, die in wirklich harter Knochenarbeit den Spargel stechen. Immer mehr kommen aus Rumänien. Einer von ihnen ist Marin Predescu.

Seine Geschichte beginnt an einem kalten Tag kurz nach Ostern in Rumänien. Ein Koffer ist bereits gepackt, der andere liegt im Wohnzimmer der kleinen Wohnung in Uricani. Marin und seine Frau Ioana bereiten sich auf drei arbeitsreiche Monate auf einem großen Spargelhof in Brandenburg vor. Jederzeit kann die Vermittlungsfirma anrufen und sagen, wann der Bus abfährt.

Marin geht seinen Regenmantel suchen. „Den kann ich in Deutschland gut gebrauchen“, sagt er, „die haben der Sonne dort ein Sparprogramm verpasst.“ Marin packt weiter, im Fernsehen laufen die üblichen Eilmeldungen über Politiker, die wegen Korruption verhaftet wurden. Marins Frau öffnet eine Bierflasche und setzt sich: „Schauen wir mal, wer heute dran ist.“

 

Unterdessen macht es sich die dreijährige Tochter im leeren Koffer bequem. Sie will nicht raus, sie will Schokolade. Dass sie bald zu den Großeltern muss, weiß sie. „Mama und Papa gehen Spargel pflücken“, sagt das blonde Mädchen. Ihre Mutter sagt: „Spargel hast du doch noch nie gesehen, da müssen wir dir welchen mitbringen.“ Dann fragt sie: „Ob sie so etwas wohl essen wird?

Eine Zukunft in der Fremde

Die kleine Stadt liegt im Schiltal, einer der strukturschwächsten Regionen Rumäniens. Früher arbeiteten die meisten hier bei den Steinkohlebergwerken. Doch mit den Umstrukturierungen der 90er-Jahre wurden viele entlassen oder gingen, wie Marins Eltern, in Frührente. Seit die Regierung auf Druck der EU auch noch die letzten Subventionen für die Minen gestrichen hat, wirkt Uricani wie eine eingeschlafene Geisterstadt. Die Bewohner müssen anderswo eine Zukunft suchen.

Marin erzählt, dass es deshalb reichlich Interessenten für die Arbeit auf den deutschen Spargelfeldern gibt. „So, wie früher bei der Mine.“ Deshalb hat er auch frühzeitig gedrängt, damit der Vertrag unterschrieben wurde.

Die Generation von Ioana und Marin Predescu, die jetzt in ihren Dreißigern sind, hat praktisch keine Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz in der Heimat. Letztes Jahr fuhren die beiden zum ersten Mal nach Deutschland. Seit 2002 arbeiten sie als Saisonarbeiter im Westen. „Aber auf den Tomatenplantagen in Spanien oder Italien lohnt es sich seit der Wirtschaftskrise immer weniger“, sagt Marin. „Schade eigentlich, dort konnten wir zumindest die Landessprache halbwegs verstehen. Aber gut, so wichtig ist das auch nicht, mit dem Spargel können wir ja auch Rumänisch sprechen.“

In Brandenburg haben sie bislang sehr gute Erfahrungen gemacht. Man habe stets pünktlich und ordentlich gezahlt, die Unterkünfte seien nicht nur sauber, sondern auch bequem, erzählt Marin. Und dieses Jahr bekommen sie sogar den deutschenMindestlohn. Letzten Sommer brachte die Familie nach zweieinhalb Monaten mehr als 3000 Euro nach Hause. „Es war das erste Mal nach den 90er-Jahren, dass wir uns eine Woche Urlaub am Schwarzen Meer leisten konnten“, erzählt Ioana. „Das war gar nicht schlecht. Das wollen wir auf jeden Fall wiederholen, aber jetzt werden wir viel mehr sparen können.“

Mindestlohn lockt Rumänen nach Brandenburg

Seit einigen Wochen sind die Eheleute nun in Brandenburg, und ihre Rechnung wird wohl aufgehen: Der Mindestlohn ist auf Brandenburgs Spargelhöfen angekommen und sorgt für eine Rekordzahl rumänischer Saisonarbeiter. Die Predescus arbeiten für die niedersächsische Firma Thiermann, die bundesweit zu den drei größten Spargelhöfen gehört und auch Felder in Brandenburg hat. Diese Saison sind es dort 2000 Spargelstecher, gut die Hälfte aus Rumänien.

Doch der Mindestlohn sorgt auch für Unmut. „Wir haben mehr bürokratischen Aufwand“, sagt Inhaber Heinrich Thiermann, „bei so vielen Leuten können wir gar nicht die individuellen Pausen feststellen, auf die es jetzt stärker ankommt. Es könnte sein, dass wir irgendwann selber nach Rumänien ziehen müssen, um die Kosten zu reduzieren.“

Die Produktivität ist in Rumänien zwar in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, doch der Unterschied im Lohnniveau ist gewaltig. In Rumänien muss ein Unternehmen etwa 1,60 Euro pro Stunde zahlen – und das bei Preisen, die sich meist gar nicht so sehr von denen in Ostdeutschland unterscheiden. Da wirken die 8,50 Euro, die man heute in Deutschland bekommt, sehr attraktiv. Auch wenn Spargelstechen richtig hart ist.

Für Deutsche sind 8,50 Euro kein Lockmittel, heißt es auf dem Spargelhof. „Auch nach der Einführung des Mindestlohns war es uns schlicht unmöglich, deutsche Spargelstecher zu finden“, sagt Manager Martin Koschker.

Ioana und Marin Predescu fühlen sich – so wie viele Rumänen – seit eh und je vom Staat im Stich gelassen. „Aber es hilft nichts, sich darüber zu beschweren“, sagt Marin. „Man muss was tun. Und seit dem EU-Beitritt ist es gar nicht mehr so schwierig, im Westen zu arbeiten.“

Dieses Mal ist die Arbeitsgruppe der Predescus auf dem Spargelhof in Mötzow bei Brandenburg/Havel. In diesem Jahr ist die Arbeit auch leichter: Marin muss die Plastikfolie, die den Spargeldamm schützt, nicht mehr mit der Hand heben: Eine Maschine hilft. „Das spart viel Ärger, und wir haben natürlich auch mehr Erfahrung als im ersten Jahr.“

Komisches Gemüse

Zwar kommt ihm dieses Gemüse immer noch „komisch“ vor, sagt er. Und der deutsche Spargelkult ist in der rumänischen Provinz noch immer so gut wie unbekannt. „Kein Mensch in Uricani kennt Spargel.“ Doch seit die neue Mittelschicht aus Bukarest und anderen Großstädten immer häufiger Urlaub im Westen macht, entwickelt sich ein Interesse für fremde Gerichte und Zutaten.

Marin selbst hat Spargel letzten Sommer am Schwarzen Meer in einem Restaurant auf der Karte gefunden. Der Spargel wurde extra aus Westeuropa importiert. „Da dachte ich, das kann doch nicht wahr sein: Wir können doch Spargel in Rumänien anbauen, wenn Interesse besteht.“ Westliche Delikatessen bleiben für Menschen wie die Predescus in Bukarest genauso unbezahlbar wie in Berlin. „Doch wer weiß“, sagt Marin, „vielleicht treffen wir uns in drei oder vier Jahren auf meinem eigenen Spargelhof in Rumänien.“


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