„Wir haben noch so viele Fragen“ Vergrößern

03-06-2015 00:48
Tornesch – Ilona B. (49) zündet eine der vielen Kerzen auf dem Grab ihrer Tochter Lisa († 18) an. Fast täglich kommen sie und ihr Mann zum Friedhof. Nico B. (45), der seine Tochter liebevoll „Kröte“ nannte: „Hier habe ich das Gefühl, ihr nahe zu sein.“
 
Am 19. März 2014, einem Mittwoch, wurde ihr Kind ermordet – heimtückisch, von einem Kumpel der Freiwilligen Feuerwehr.
 
BILD-Besuch in dem Haus, in dem Lisa ihre ersten Schritte machte. Hier wohnen Lisas Eltern mit ihrer jüngsten Tochter Lea (15) und Lisas Freund Jan (20).
 
Nico B., für Lisa immer der „Papili“: „Wir sind langsam in den Alltag zurückgekehrt. Aber es vergeht kein Tag, an dem wir nicht an Lisa denken. Manchmal schon morgens, wenn ich Stullen schmiere, und ihre orange Brotdose im Schrank sehe.“
 
Seit Lisas Tod werden er und seine Frau psychologisch betreut. Doch „verarbeitet“ haben die Eltern den Verlust längst nicht.
Die Mutter: „Wie sollen wir zur Ruhe kommen, wenn wir bis heute nicht genau wissen, was mit unserer Tochter passiert ist?“ So sei es für die Eltern unglaubwürdig, dass Lukas M. die Leiche ihrer Tochter direkt nach der Tat im Maisfeld abgelegt habe. Ilona B.: „Im Prozess blieben leider viele Fragen für uns unbeantwortet.“
 
Lisas Vater: „In unserem System geht Täter- vor Opferschutz. Wir wollten für Lisa eine würdige Beerdigung. Von staatlicher Seite gab es 1100 Euro. Allein ihr Grabstein hat 6000 Euro gekostet. Warum haften dafür nicht der Täter oder seine Eltern? Ganz abgesehen von den Antragsbergen, die wir ausfüllen mussten.“
In ein paar Wochen hat Lisas Berufsschule Abschluss – ihre Eltern werden ihre Klasse besuchen. Und in Gedanken bei ihrer Tochter sein.
„Wir sind gerührt von den Reaktionen der BILD-Leser“
 
Berlin – Es ist ein gewaltiges Echo auf eine schwer nachvollziehbare Entscheidung.
 
►►► BILD hatte über den Mordfall Lisa Marie (18) aus Tornesch berichtet – und wurde danach vom Deutschen Presserat öffentlich gerügt, weil wir ein Foto des minderjährigen Killers veröffentlicht hatten. Der Presserat entschied: BILD hätte das Täter-Foto nicht zeigen dürfen. Begründung: Da der Killer zur Tatzeit erst 16 war, sei der Mord nicht „außergewöhnlich schwer“ und „monströs“ genug. Der Jugendschutz überwiege …
Lisas Eltern waren entsetzt über diese Entscheidung. UND VIELE BILD-LESER AUCH! Viele meldeten sich am Dienstag nach einem Aufruf von BILD direkt beim Presserat und in der Redaktion, sagten ihre Meinung. Auszüge:
 
► „Wie tief sind wir gesunken, wenn ein Mord nicht als außergewöhnlich angesehen wird.“
D. Scholz, E-Mail
 
► „Unfassbar und völlig weltfremd. Traurig, dass sich nun auch der Presserat aus der Realität verabschiedet hat.“
 
Stefan Kliesch, Bremen
► „Die Begründung für die Rüge verschlimmert die ganze Sache noch!“
Marc Klein, E-Mail
 
► „Liebe Mitglieder des Presserats, denken Sie immer daran, es hätte auch Ihr Kind sein können. Wäre dies dann auch nicht außergewöhnlich?“
Helga Lehmann, Offenbach (Hessen)
 
► „Was sind das für Menschen, die mit solchen Entscheidungen unterwegs sind? Dies ist ein Zeichen dafür, dass wir mit einer zweiten Klimakatastrophe rechnen müssen: der menschlichen Kälte.“
 
Horst Tischler, Ratingen (NRW)
► „Wie kann man den Eltern sagen, deren Tochter ermordet wurde, dass das keine außergewöhnliche schwere Tat war?“
Sylvia Wagner, E-Mail
 
► „Da fehlen einem die Worte. Man ist so was von wütend. Dem Presserat gehört ordentlich der Kopf gewaschen.“
Erich Kuntze, E-Mail
 
Wenige Leser zeigten Verständnis für die Entscheidung des Rates:
► „Auch wenn die Begründung des Presserats sicher nicht brillant war, so bin ich doch der Meinung, dass dieser angesichts eines 16-jährigen Täters im Ergebnis recht hat“, meint z. B.
Thorsten Wienecke per E-Mail.
 
Lisas Eltern gibt die überwältigende Unterstützung Kraft: „Wir sind gerührt und bewegt von den vielen Reaktionen der BILD-Leser. Das tut wirklich gut. Wir hoffen, dass wir dazu beitragen können, eine neue Diskussion zum Täter-Opfer-Schutz anzuregen.“
 
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